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Michaela
Geiger Musik, Tanz und Gott Tonspuren durch
das Alte Testament Katholisches Bibelwerk Stuttgart, 2007, 144
Seiten, kartoniert, 978-3-460-03074-9 35,00 EUR
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Stuttgarter Bibelstudien
207 Musik, Tanz und Gott werden in den Beiträgen dieses Bandes
miteinander in Beziehung gesetzt. Dabei wird deutlich, dass die
Darstellung von Musik und Tanz im Alten Testament immer eine
theologische Dimension hat: Musik kann die Kommunikation zwischen
Menschen und Gott herstellen, darstellen und zum Ausdruck bringen.
Musik, Tanz und Gott sollen in den Beiträgen dieses Bandes
miteinander in Beziehung gesetzt werden. Alle Autorinnen und Autoren
gehen von der literarischen Präsentation des Phänomens Musik in
alttestamentlichen Texten aus. Damit ist das Grundproblem benannt: Über
Musik zu schreiben, bedeutet, das komplexe Phänomen Musik in
geschriebene Sprache zu übersetzen: Vielfältige Klänge, Rhythmen und
Melodien, unterschiedlichste Körper und Formen der Instrumente, der
Anblick der Musikerinnen und Sänger, die den ganzen Körper erfassende
Erfahrung des Hörens, Musizierens oder Tanzens müssen in Buchstaben und
Sätze verwandelt werden, die einer ganz anderen Grammatik folgen. Die
literarische Repräsentation von Musik wählt Aspekte aus, setzt sie in
einen bestimmten Deutungshorizont und kann andere Dimensionen gar nicht
transportieren. So wissen wir wenig über die Aufführungspraxis oder
Spieltechnik, kennen die Melodien zu den überlieferten Liedern nicht und
können Klänge nur erahnen. Im alttestamentlichen Kanon ist zudem die
Repräsentation kultischer Musik gegenüber allen anderen Kontexten in den
Vordergrund getreten.
Dieser Band, der somit Texte über Texte
über Musik enthält, begegnet dem Dilemma in zweifacher Weise: Auf der
einen Seite dient die genaue Lektüre der alttestamentlichen Texte der
Analyse dessen, was ihre Darstellungsstrategien über die Tonlagen der
Texte, die Bedeutung musikalischer Aufführungen oder die Entstehung des
musikalischen Davidbildes verraten. Auf der anderen Seite wird
altorientalisches Vergleichsmaterial zu Rate gezogen, um die Textbasis
zu erweitern und die alttestamentlichen Musik(be)deutungen in ihren
Eigenarten zu konturieren.
In allen Aufsätzen wird deutlich, dass
die Darstellung von Musik und Tanz in alttestamentlichen Texten immer
eine theologische Dimension hat: Musik kann die Kommunikation zwischen
Menschen und Gott herstellen, darstellen und zum Ausdruck bringen. Der
Musik wird eine kosmische Wirkung zugeschrieben, die zugleich das
Erleben der Wirklichkeit prägte.
Es liegt in der Natur der Sache,
dass dem Phänomen Musik im Alten Testament nicht vollständig entsprochen
werden kann. Durch die bruckstückhafte Darstellung entzieht es sich
einer umfassenden Deutung - und erlaubt damit zugleich unterschiedliche
Perspektiven: Die alttestamentliche Musik kann in vielen Tonarten gehört
werden. In ihren Beiträgen folgen die Autorinnen und Autoren jeweils
einer Tonspur, um Leitmotive und Grundtonarten im Konzert des Alten
Testaments hörbar machen. Diese Tonspuren ergänzen sich zu einer
Momentaufnahme, die Lebendigkeit und Vielfalt des Phänomens Musik im
Alten Testament zum Ausdruck bringt.
Jürgen Ebach fragt nach den
"Tonlagen" der Texte, insbesondere der Psalmen: "Woher weiß ich, welchen
Ton ich lesen soll?" (2) Anders als in Piatons "politeia" sind im Alten
Testament grundsätzlich alle Tonarten erlaubt. Anhand von zwei
Beispielen wird das exemplarisch durchgespielt. In 2 Chr 20,21 kann der
Vergleich der Formel "Dankt Adonaj, ja, auf Dauer währt Gottes
Freundlichkeit" mit anderen Zitationen nahe legen, dass das Fehlen der
Worte "so ist es gut", mit Bedacht geschah, wie es auch die rabbinische
Auslegung annimmt. Im Kontext des Krieges ist diese Formel fehl am
Platze. Hier kann gerade aus dem nicht Gesagten auf die Tonlage des
Gesagten geschlossen werden; noch im Lob hat hier die Tonlage der Klage
Raum. Ein anderes Verhältnis von Lob und Klage weist Ebach in Ps 139
nach, der, je nach Perspektive, in zwei einander ausschließenden
Tonarten gehört werden kann, als Ausdruck von Schutz oder von Bedrohung.
In diesem multiperspektivischen Prinzip sieht Ebach "die angemessenste
Form, Gott zu antworten" (20), in vielen Tönen und Tonlagen, Harmonien
und Dissonanzen. Eine notwendige Grenze der Interpretation formuliert
Ebach mit dem französischen Talmudinterpreten Marc-Alain Ouaknin: "Ist
alles sagbar? Alles, außer dem, was aus der Gewalt hervorgeht und zur
Gewalt führt!"
An dieser Stelle schließt Martin Leutzsch
thematisch an. Er diskutiert die Verbindung von Gotteslob und Gewalt in
der Auslegung von Mirjams Lied am Schilfmeer: "Wie legitim ist die im
Mirjamlied gelobte Gewalt? Wie legitim ist der Akt des Lobens, den das
Mirjamlied vollzieht?" (31) Auch die Tonlage dieses Liedes kann sehr
unterschiedlich gehört werden. In der feministischen Auslegungstradition
ist es als "Kritik am Krieg" gedeutet worden, während die ältere
alttestamentliche Forschung die Aussageabsicht solcher "Siegeslieder"
mit "Verherrlichung der ruhmreichen Kriegstaten und Lobpreis der Helden"
(33) angibt. Demgegenüber verfolgt Leutzsch einen dritten Weg, der
wiederum die Frage der Perspektive in den Vordergrund rückt: Im
Mirjamlied wird Gott als einziges Subjekt der Gewalt gelobt, und zwar
von Israelitinnen, die eben noch in der Gefahr standen, ihren durch den
Auszug aus Ägypten errungenen Subjektstatus wieder zu verlieren und
erneut zum Objekt der Ägypter zu werden.
Das Mirjamlied ist Teil
eines Rituals, das im Zentrum des Aufsatzes von Michaela Geiger steht.
Die literarische Darstellung des Tanzes Mirjams und der Frauen am
Schilfmeer dient der Akzentuierung und Deutung von Wirklichkeit in
dieser Übergangssituation für das Volk Israel. Der Tanz ist Ausdruck der
Verehrung Jhwhs und damit Medium der religiösen Kommunikation. Diese
Charakteristika des Tanzes am Schilfmeer werden zum Ausgangspunkt und
literarischen Schlüssel für die anderen biblischen Erzählungen, in denen
mit ähnlichem Vokabular von tanzenden Frauen erzählt wird. Die
Frauen-Tanztexte bilden, kanonisch gelesen, eine literarische Tonspur
durch das Alte Testament, und erst das Hören der anderen Texte als
Variationen und Wiederaufnahmen des Leitmotivs von Mirjams Tanz macht
die Tonart der anderen Texte hörbar, hebt Dissonanzen hervor und
intensiviert den Ausdruck von Hoffnung in Jer 31.
Rainer Kessler
zeichnet in seinem Beitrag die Entstehung des Bildes des harfespielenden
Königs David als musikalischer Leitfigur des Alten Testaments nach. Er
zeigt, wie sich aus dem altorientalischen Kontext des Alten Testaments
das Motiv des singenden Königs, des den König begleitenden Musikers und
des Geister bannenden Musiktherapeuten zu einem Kompositbild vereinen.
Diese unterschiedlichen Motive stehen in der Davidserzählung zunächst
nebeneinander und verbinden sich erst in 2 Sam 22 und 23, vor dem Tod
Davids, zu einem Bild. Im Psalter wird dieses Bild Davids einerseits
verkürzt, insofern als er nur noch als Sänger religiöser Lieder
auftritt, und andererseits erweitert, da viele Psalmen durch
historisierende Überschriften in die Lebensgeschichte Davids
rückversetzt werden. So wird David zum exemplarischen Beter für
unterschiedliche Lebenslagen. In der Chronik gewinnt das Bild Davids
andere Dimensionen: David wird hier zum Organisator der Tempelmusik, zum
Erfinder von Musikinstrumenten und Dichter einer Psalmensammlung. Die
Kanonisierung der Bibel schließlich fuhrt dazu, dass David alle Rollen
zugleich zugeschrieben werden, wie es exemplarisch im 151. Psalm der
Septuaginta und in der Psalmenrolle aus Qumran deutlich wird.
Friedhelm Hartenstein zeigt, ausgehend von Ps 57, wie Musikinstrumente
im alten Israel zum Medium religiöser Kommunikation werden, in der
doppelten Richtung "auf Gott hin" und "von Gott her": Musikinstrumente
evozieren die Herrlichkeit Gottes und reflektieren sie zugleich. Diese
doppelte Blickrichtung wird im Kontext sumerischer Zeugnisse über
Kultmusik näher untersucht. Hier wird die Kesselpauke als Verkörperung
einer Gottheit verehrt, deren Kommunikationsfähigkeit durch
entsprechende Rituale gewährleistet wird. Wie die Kesselpauke gilt auch
die balag-Harfe zugleich als personifizierter Teil der Götterwelt und
der menschlichen Hinwendung zu dieser. Insbesondere die Lautstärke der
Instrumente wird als wesentlich angesehen, da sie die Festfreude ins
Übermenschliche steigern kann und ihr einen kosmischen Resonanzraum
verleiht. Im Alten Testament sind es v.a. (spät-) nachexilische Texte
wie Ps 150, in denen Musikinstrumente als Medien des Gotteskontakts
gedeutet werden. Insbesondere der Schofar, aber auch die Metalltrompeten
in 2 Chr 5,12f gelten als Lärminstrumente, die kosmische Resonanz
erzeugen und Jhwhs Herrlichkeit hervorrufen können.
Gerlinde
Baumann nimmt in ihrem Beitrag die göttliche Seite der religiösen
Kommunikation in den Blick: Wird Jhwh im Alten Testament als
musikalischer Gott dargestellt? Zur Definition von Musikalität greift
sie die musikwissenschaftliche Unterscheidung von rezeptiver und
produktiver Musikalität auf. Gegenüber den vielfältigen musikalischen
Aufführungen für Jhwh werden im Alten Testament wenige göttliche
Reaktionen auf diese Musik erzählt. In prophetischen Texten steht Jhwh
der Musik sogar ausgesprochen kritisch gegenüber (Am 5,23; 8,10 u.ö.).
Dagegen kann 2 Chr 5,12-14 als Beleg für Jhwhs rezeptive Musikalität
gelesen werden, der sich von der überwältigenden Musik hervorlocken
lässt, um seinen neuen Tempel in Besitz zu nehmen. Als Beleg für Jhwhs
produktive Musikalität kann das "Moselied" Dtn 32 gelesen werden, das
genau genommen ein Jhwh-Lied ist, ein von Jhwh gedichtetes und
komponiertes Lied. Die allegorischen rabbinischen und christlichen
Auslegungen schließlich deuten das Hohelied als Dialog zwischen Jhwh und
Israel bzw. der Kirche, Jhwh wäre damit auch Dichter bzw. Sänger von
Liebeslyrik. Mit diesen Hinweisen auf Jhwhs Musikalität wird deutlich,
dass die Gottheit Israels mit kulturellen Kompetenzen ausgestattet wird,
wie sie ihre Anhängerinnen im Laufe der Jahrhunderte erworben haben.
Diese Aufsätze wurden ursprünglich als Vorträge für das Symposiums
"Musik und Altes Testament" verfasst, das am 576. November 2004 aus
Anlass des 60. Geburtstags von Rainer Kessler an der
Philipps-Universität Marburg veranstaltet wurde. Für diesen Band wurden
sie um den Beitrag "David musicus" von Rainer Kessler ergänzt.
Unser Dank gilt Erich Zenger, der diesen Band in die Reihe der
Stuttgarter Bibelstudien aufgenommen hat, sowie Charlotte Voß und Andrea
Schönfeld, die an der Erarbeitung der Satzfassung mitgewirkt haben.
Michaela Geiger, Rainer Kessler |