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Deutschlandfunk Prof. em. Dr. Stefan Wild, Universität Bonn
10.07.2015 |
Sure 112 Verse 1-4 Eine deutliche Abgrenzung des Christentums
Die Verse eins bis vier sind die komplette Sure 112. Damit ist
dieser Abschnitt des Korans einer der kürzesten – was nichts über
seine Bedeutung aussagt. Im Gegenteil. Sure 112 ist sowohl für die
Theologie als auch die Alltagspraxis von Muslimen eine der
wichtigsten. Sie grenzt deutlich die christlichen Lehren ab. Und
aufgrund ihrer Kürze kennen sie viele praktizierende Muslime
auswendig und rezitieren sie in ihren fünf täglichen Pflichtgebeten.
„Sprich: Gott ist Einer, Ein ewig Reiner, Hat nicht
gezeugt und ihn gezeugt hat keiner, Und nicht ihm gleich ist
einer.“ Dies ist eine der kürzesten Suren des Korans. Gleichwohl
sagen viele Muslime, sie fasse den Islam in seiner Essenz zusammen.
Diese Sure hat fünf wichtige Merkmale, zwei formal, drei inhaltlich:
Formal besteht diese Sure wie der gesamte Koran aus Versen, die sich
reimen oder Assonanzen bilden. Die eben gehörte Übersetzung stammt
von Friedrich Rückert, einem der genialsten deutschen Dichter und
Übersetzer aus dem 18./19. Jahrhundert. Die Sendereihe „Koran
erklärt“ als Multimediapräsentation Vers 1 der Sure wird
eingeleitet durch das Wort „Sprich:".Damit fordert Gott den
Propheten Mohammed auf, Gottes Wort zu verkünden. Was nach diesem
Wort kommt, ist für Muslime eine unmittelbar göttlich inspirierte
Rede. Gott spricht durch das Sprachrohr des Propheten. Über den
ganzen Koran verteilt, fordert der göttliche Sprecher mit diesem
Wort „Sprich“ mehr als dreihundert Mal den Propheten zur
Verkündigung auf. Inhaltlich lehrt die Sure die absolute Einheit
Gottes. Der Koran nimmt auf, was die Juden meinten, wenn sie sagten:
„Höre Israel: ‚Der Herr, unser Gott, ist Einer‘“. Für mehrere Götter
oder eine Dreifaltigkeit ist in diesem Monotheismus kein Platz.
Ebenso wenig darf der Muslim Gott als zeugend oder gezeugt denken.
Der Vers: „Hat nicht gezeugt und ihn gezeugt hat keiner“ ist eine
direkte Ablehnung des christlichen Dogmas von der Gottessohnschaft
Jesu. Im Felsendom zu Jerusalem steht diese Sure geschrieben und
dient der Belehrung der Christen. Isa, wie Jesus im Koran heißt, ist
im Islam ein großer Prophet, auch der Koran nennt ihn „Messias“,
aber er bleibt hier ein Mensch. Er und seine Mutter Maria, arabisch:
Maryam, genießen hohe Verehrung unter Muslimen. Der Koran bezeugt
auch die jungfräuliche Geburt Isas. Aber Isa ist eben nicht
göttlich. Und dann ist da noch der zweite Vers der Sure, in dem
sich „Gott ist einer“ reimt auf „ein ewig Reiner“. Das arabische
Wort samad, das Rückert mit „ein ewig Reiner“ übersetzt, kommt nur
einmal im Koran vor. Die vielfältigen Bedeutungen, die spätere
muslimische Exegeten in das Wort hineinlasen, sind so heterogen,
dass man zu dem Schluss kommt, sie hätten es selber nicht genau
gewusst. Aber nicht alles in einer Heiligen Schrift muss klar sein.
Der Koran selbst weist darauf hin, dass es in ihm klare und weniger
klare Verse gibt. Die arabischen Exegeten pflegten in solch
schwierigen Fällen zu sagen: „Und Gott weiß es am besten“. Diese
Sure 112 ist somit monotheistisches islamisches Urgestein. Sie
bezieht sich auf den jüdischen Monotheismus und weist christliche
Kerndogmen scharf ab. In dieser Hinsicht steht der Islam dem
Judentum also näher als dem Christentum. Es ist aber in der
unübersichtlichen Landschaft der Spätantike oftmals nicht leicht,
zwischen den konkurrierenden religiösen Gruppen Juden, Christen,
monotheistischen Gottsuchern und Heiden, zwischen Häresie und
Polemik auf der arabischen Halbinsel zu unterscheiden. Wie gingen im
Entstehen begriffene muslimische Gruppen unter der Leitung des
Propheten und des Korans mit religiösen Konkurrenten um? Hier ist
noch viel im Dunkel. Deshalb sagen wir auch hier vorläufig: „Und
Gott weiß es am besten“. |